Zug-eplappert
„Guten Morgen meine Damen und Herren, ich darf sie recht herzlich an Bord des ICE 610 von München nach Dortmund begrüßen. Unsere Fahrt geht über München-Pasing, Augsburg, Ulm, Stuttgart, Mannheim, Frankfurt Flughafen, Siegburg/Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen…“
„AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!
Tötet die ‚Zugbegleiter’!!!!“
…schießt es mir durch den Kopf, während ich das Lächeln der mir gegenüber sitzenden Nonne erwider.
Wenn dieses sorgfältig sinnbefreite Geplapper auf einem Fernsehkanal oder Radiosender erklänge, hätte der Selbsterhaltungstrieb meines Daumens bereits nach der ersten Silbe der eintägig geschulten Primatenstimme verzweifelt auf der Fernbedienung rumgezuckt und dem auditiven Grauen ein Ende bereitet. Aber ich sitze im Zug! Und dummerweise recht lange. Über 5 Stunden um genau zu sein. Der Zug wird 12 Mal halten und hat „…wegen einer verspäteten Bereitstellung… Wir bitten dies zu entschuldigen…“ bereits bei Abfahrt in München eine Verspätung von 9 Minuten, die bis Dortmund übrigens nicht aufgeholt werden kann!
Vor jedem Halt rennen laut klagende Menschenmassen durch die Gänge, die ganze 9 Minuten ihres Lebens verloren haben und nun um einen Anschlußzug bangen. So winselt das unbarmherzige Killermikro des staatlich geprüften „Zugbegleiters“ vor jedem Halt 5 Minuten lang den kompletten Inhalt von „Ihr Reiseplan“ in den Äther!
„Die Regionalbahn nach Stuttgart Hbf über Memmingen, Kempten, Immenstadt, Sonthofen, Fischen und Oberstdorf… konnte leider nicht warten. Wir bitten dies zu entschuldigen. Der nächst Anschluß nach Memmingen…“ Und sind einmal nicht genügend Anschlüsse zum Ansagen vorhanden, greift der Zugbegleiter fröhlich zur Speisekarte des gastronomischen Service. Da findet sich immer was!
Unglaublich, versagt das Hirnbranding trotz der an Sektenwahn grenzenden Suggestivenbemühungen des Zugbegleiters dennoch einmal, kann dank Textblatt trotzdem stets fröhlich mitgejault werden. Der Halt selber bleibt aufgrund erhöhter Fluchtgefahr oft unkommentiert. Doch sobald sich die Türen schließen versinken die nicht eben erst Zugestiegenen erneut bangend in ihren Sitzen und warten auf das unausweichliche Kancken der knapp 1000 Lautsprecher. Die Dolby-Sorround Anlagen aus den Toilleten hab ich mal nicht mitgezählt. Aus „Guten Morgen…“ wird „Guten Tag…“ und das Spiel beginnt von neuem. Hihi, das wird lustig…denke ich mir. 5 Stunden später denke ich anders.
Machen wir eine kleine Rechnung:
12 Haltepunkte a 5 Minuten davor und 5 danach macht 12x2x5min
= 120min!
= 40% der Gesamtfahrzeit
Ich sitze 5 Stunden im Zug und höre davon 2 volle Stunden das Gelaber des Zugbegleiters!!! Welcher Radio- oder Fernsehsprecher kommt schon auf 40% eigener Gesprächszeit in einer Sendung? Und wie viele Stunden Sprecherziehung und Sprachtraining liegen dann wohl hinter ihm? Die Nonne mir gegenüber hebt jedoch immer wieder interessiert ihren Kopf und lauscht der kopflosen Stimme. Gepriesen seien die Kirchgänger unter den Bahnkunden. Sie scheinen mit derartig konstruierten Vorträge durchaus vertraut…!
30. Oktober 2005 um 12:16
Auto kaufen und nicht mehr den Stimmen lauschen *g*
1. November 2005 um 19:58
40% sind schon eine Menge. ist mir noch nie so aufgefallen
16. November 2005 um 16:30
Kauf Dir doch den Bahneigenen Earlplug Marke ICE
(Kosten: eine Tagesmitgliedschaft an der Porta),
Damit kommst Du auf 100%
ähnlich sinnfreies Bordprogramm auf 3 Kanälen !
Trotzdem: von München nach Hannover ist der Zug mit keinem anderen Verkehrsmittel zu schlagen.
Bahncard rulez !
Irgendwann werde ich das mal mit Drachen am langen Arm ausprobieren.
´freue mich jetzt schon auf die Diskussionen mit den Schaffnern, ob ich für die Kurzpackzigarre eine Fahrradkarte brauche, oder ob ich damit in das Raucher-Gepäckabteil muß…
4. April 2006 um 21:06
Mensch, Calle,
ich wusste ja noch gar nicht, dass du so ne tolle Seite hast. Macht ja richtig Spaß zu lesen…
Reschpekt!
29. Januar 2009 um 15:59
Bei Komentaren, wie diesem bekomme ich Brechreiz. Wird nicht gesagt ist es scheiße und wird nach Standards Informationen vermittelt passt es auch nicht Ewig meckernde, nach Servicewüsten hechelnde deutsche Spießer.
Fahr mit dem Auto und lass die Eisenbahner ihren Job machen!
1. März 2009 um 17:20
Stimmt, wie gelungen die Eisenbahner ihren Job finden habe Sie uns vor kurzem eindrucksvoll demonstriert. Und wenn ich das empörte Gestammel von ‚Huke‘ richtig verstehe, dann sollten wir Kritiker fortan nicht die Mängel des Systems kritisieren, sondern andere Kritiker. Außerdem sollen wir alle mehr Auto statt Bahn fahren. Hm. Ist auch eine Meinung. Aber definitiv nicht die Meine 😉 Aber ‚Servicewüste‘ ist so ein tolles Wort, da hat sich das Lesen dieses Kommentars doch irgendwie gelohnt. Danke ‚Huke‘.